Wir freuen uns überaus, heute eine Pionierin der eSport-Szene zum Interview begrüßen zu dürfen und mit ihr spannende Themen zu diskutieren. Nicole Lange ist seit 2004 als Journalistin und Redaktionsleiterin tätig, ihre gesamte Lebenslaufbahn ist von Games geprägt. Inzwischen ist sie als Produktmanagerin für eSport bei kicker tätig. Ihre Fachexpertise und das laufend aufgebaute Netzwerk innerhalb der eSport-Branche sprechen Bände.
Aus diesem Grund sind wir gespannt über aussagekräftige Meinungen rund um Themen wie Gleichberechtigung, Diskriminierung und Jugendschutz zu sprechen. Zudem wird uns Nicole einen persönlichen Ausblick für die eSports- und Gamingbranche allgemein geben.
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Frauen im eSport: Über Gleichberechtigung und Diskriminierung
eSportsGear: Was ist nach deinem Empfinden der Hauptgrund wieso Frauen im eSport kaum vertreten sind?
Nicole Lange: Speziell auf Deutschland bezogen würde ich sagen, war man vor drei, vier Jahren einfach noch sehr hinten ran, generell aber was den eSport betrifft, das hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Es fehlten auch die Angebote, aber ich glaube auch, dass viele Frauen für sich noch nicht wirklich wussten, wie und was sie im eSport überhaupt machen wollen. Also wirklich die Weltspitze angreifen, denn das musst du wollen, wenn du davon leben willst und das können nicht viele oder einfach im Amateur- und Breitensport seinem Hobby nachgehen. Frauen hatten lange Zeit keine Perspektive gesehen. Und die männlich dominierte Szene war auch nicht einfach für einen Einstieg.
Aber generell gibt es, glaube ich, immer noch, im Gegensatz zu Männern, weniger Frauen, die sich als eSportler versuchen wollen. Vor 20 Jahren wussten Frauen mit dem Thema Gaming teilweise noch nicht mal viel anzufangen. Da hieß es, „Konsolen sind doch nichts für Mädchen“ – und ich glaube, dieses Umdenken findet im eSport seit einigen Jahren statt, es dauert aber etwas bis man die Ergebnisse sieht.
eSportsGear: Hast du jemals Erfahrungen mit Diskriminierung im eSport selbst erlebt oder bei anderen Personen, insbesondere Frauen, mitbekommen?
Nicole Lange: Persönlich nicht auf mich bezogen, aber ich habe u.a. mit Team-Managern gesprochen, die ganz klar sagten, dass sie keine Frauen im Team haben wollen, weil das zu viel Unruhe bringen könnte. Man ist also schon gleich mit dieser Ablehnungshaltung ran gegangen. Oder man hätte sich zu viele Gedanken machen müssen, um alle im Teamhaus „geschlechtergerecht“ unterzubringen. Mixteams war immer ein Thema, das sehr stark dahingehend kommuniziert wurde, dass Frauen im Team Ärger und Unruhe bringen. Ich spiele z.B. gerne FIFA und wenn ich auf Events oder Turnieren war, wurde immer davon ausgegangen, dass es eigentlich nicht sein kann, dass ich sowas stabil zocken kann. Das war manchmal lustig, aber der Grundtenor dann doch schon sehr überheblich.
eSportsGear: Welche Schritte müssten gesetzt werden, um Frauen im eSport besser zu etablieren?
Nicole Lange: Ich sage immer, in erster Linie muss man selbst erst einmal hart arbeiten und den Willen haben in der Branche nach vorne zu kommen. Das ist ein hart umkämpftes Feld, denn wie schon gesagt, die Spitze ist dünn und wer eSportler werden will muss gut sein. Es wird auch nicht jeder Tennisprofi oder Fußballstar – trotz Talent. Und man darf sich – wie generell im Leben – als Frau auch nicht unterbuttern lassen.
Auf der anderen Seite muss der eSport sich deutlich offener zeigen. Ich bin kein Fan von reinen Frauen-Turnieren, da sie meiner Meinung nach genau das Gegenteil fördern, aber die Branche muss Frauen mehr Möglichkeiten geben einzusteigen. Große Teams müssen ihre Kommunikation verbessern, Diversität fördern und transparenter im Umgang werden. Der eSport hat den Ruf, dass man nur mit Leistung erfolgreich sein kann, egal ob Frau oder Mann, aber das muss die Szene noch beweisen, wie flexibel und offen sie wirklich ist. Bisher waren es einzelne Versuche, aber große Ligen und Organisationen müssen klar kommunizieren: „Uns ist dein Geschlecht egal, du kannst was, dann zeig es uns. Wir geben jedem eine Chance und faire Bedingungen in einer der besten Branchen überhaupt“.
eSportsGear: Spielt “Gender” deiner Meinung nach eine konkrete Rolle im eSport? Wenn ja, welche?
Nicole Lange: Nein.
Jugendschutz und Jugendförderung
eSportsGear: Gibt es deinerseits Verbesserungsvorschläge für Jugendschutz im eSport?
Nicole Lange: Für mich ist in diesem Punkt noch sehr viel Luft nach oben. Nicht nur in Deutschland, sondern generell. Jugendarbeit wird immer wichtiger im eSport. Das kann man mittlerweile analog zum Fußball sehen. Junge Talente müssen gefördert und in einem stabilen Umfeld aufwachsen. Eltern dürfen kein schlechtes Gefühl haben, wenn sie ihre Kinder in diese Welt abgeben, denn die Spieler sind teilweise erst 14 Jahre jung. Medienumgang und der mentale Support sind sehr wichtig. Es prasseln so viel Eindrücke auf die Spieler ein und sie bekommen Fans und Geld und das ist auch absolut ok, aber um diese Dinge in einen richtigen Kontext zu packen, braucht es ein stabiles Umfeld. Es gibt schon gute Beispiele, aber auch sehr erschreckende. Für Profisportler im eSport sollte man ähnliche Richtlinien wie in anderen Sportarten auch schaffen, denn nur so kann man jungen Spielern den Eintritt in den Profi-eSport auf eine gute Art gewährleisten.
Trends und allgemeine Entwicklungen im eSport
eSportsGear: Du hast von deiner ersten BlizzCon 2016 berichtet und warst überwältigt vom Zusammengehörigkeitsgefühl der Community. War das für dich dein persönliches Highlight in der eSport Szene oder hast du noch weitere Höhepunkte erlebt?
Nicole Lange: Als Mohammed Harkous FIFA-Weltmeister wurde. Ich habe den Spieler seit Jahren begleitet und seinen Werdegang redaktionell dokumentiert. Als er damals den Titel gewann, war das schon ein lustiger Moment, weil ich erst wirklich begriffen habe, wie lange wir das hier bei kicker eSport schon machen und wie toll es ist, diese Entwicklungen zu sehen.
eSportsGear: Welche Entwicklungen erwartest du für die deutsche eSport Szene in den kommenden Jahren? Wird das Angebot für eSport im Fernsehen ausgebaut oder werden weiterhin hauptsächlich Streaming Seiten den eSport Bedarf decken?
Nicole Lange: TV ist und bleibt für mich kein Medium für eSport. Generell ist die Zielgruppe eher auf Twitch und Co. daheim. Mal abgesehen von den Kosten. Daher: Nein, im TV sehe ich sowas erstmal nicht. Wir von kicker eSport haben schon immer nach passenden Formaten gesucht und wollten als First Mover immer den Schritt weiter wagen. Daher auch das Programm auf Twitch und ich glaube, dass es auch andere Medienhäuser als Chance sehen werden, neue Zielgruppen zu erschließen. Der Weg sollte nicht erst TV und dann Stream, sondern genau andersrum sein.
eSportsGear: Welche Veränderungen konntest du im Laufe der Zeit innerhalb der eSport-Community feststellen?
Nicole Lange: In Deutschland sind wir noch lange nicht am Ende, wir müssen aber aufpassen, dass der anfängliche Hype nicht versandet, nur weil wir es nicht schaffen, mit der Zeit zu gehen. Die Community ist da und sie wird sich auch noch vergrößern, wenn sie die Möglichkeit in Deutschland hat. Wir bei kicker eSport merken, dass der Need da ist, die Leute wollen gute Inhalte und umfangreiche Angebote. Aber die fehlenden Events durch Corona haben die eSport-Branche und ihre Community ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.
eSportsGear: Wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft für Mobile eSport aus? Wird Mobile eSport den gängigen eSport ersetzen oder eine größere Rolle einnehmen?
Nicole Lange: Ersetzen nicht, aber eine größere Rolle auf jeden Fall. Es gibt schon ein paar gute Titel, aber momentan ist die Community noch recht klein. Die Entwickler legen eher den Blick auch auf die Konsolen, wenn man Riot anschaut, z.B., aber es ist ein Feld, mit vielen Möglichkeiten, da geht noch einiges.
eSportsGear: Ist Cloud Gaming die Zukunft der Videospiele?
Nicole Lange: Aktuell sind einfach noch nicht die Voraussetzungen geschaffen, um Cloud Gaming richtig umsetzen zu können. In Deutschland schon mal gar nicht. Die Vorteile sind für die Community noch nicht wirklich erkennbar und daher sind die bestehenden Projekte fast alle mehr oder weniger gescheitert. Ich sehe es als Alternative und durchaus sinnvolle Ergänzung, aber bis es soweit ist, braucht es noch Verbesserungen in den Strukturen und eine nachhaltige Entwicklung.
eSportsGear: Liebe Nicole, vielen Dank für deinen ausführlichen Input. Wir hoffen, dass wir dich bald wieder begrüßen dürfen.