Die Pionierin der eSport-Szene Nicole Lange hat uns bereits in der Vergangenheit ein Interview zu den Themenfeldern Gleichberechtigung, Diskriminierung und Jugendschutz im eSport gegeben. Wir freuen uns ganz besonders, mit ihr gemeinsam das neue Jahr 2023 einzuläuten und ein weiteres Interview zu veröffentlichen.
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eSport-Entwicklungen seit der Covid-Pandemie
eSportsGear: Die Frage ist seit Covid nicht neu, jedoch kann man sie aktuell vielleicht bereits mit etwas gesundem Abstand betrachten: Siehst du die Entwicklung des eSports und aller dazugehörigen Aktivitäten seit Covid gedämpft oder gab es dafür ein Hochleben in privaten Bereichen?
Nicole Lange: Die eSport-Branche war durch Covid ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, vor allem der Live-Betrieb. Davon konnten sich einige Firmen nicht erholen, gleichzeitig sind die Streaming-Angebote gewachsen. Aber man sieht aktuell schon die Nachwirkungen dieser Zeit. In Deutschland, aber auch weltweit hätte man bestimmt mehr aus der Lage machen können. Da haben einige Veranstalter nicht schnell genug Lösungen gefunden. Der Mangel an Mitarbeiter:innen aufgrund von Krankheit hat ebenfalls vieles ins Wanken gebracht. Also ja, die Branche an sich hatte sehr an Covid zu leiden und trägt immer noch die Konsequenzen in manchen Bereichen, aber private Bereiche konnten und mussten sich zum Teil dadurch neu erfinden und konnten das für sich nutzen.
Aktuelle Lage bei eSport-Frauenteams und Geschlechtsfragen
eSportsGear: Da es im eSport – vereinfacht ausgedrückt – nicht zwingend um anatomisch bedingte Muskelmasse geht, wäre die Einführung von gemischten Teams, Turnieren und Ligen als allgemeiner Standard sinnvoll?
Nicole Lange: Wenn man den eSport-Gedanken von Gleichstellung konsequent umsetzen will, wäre das ein Weg. Allerdings muss der Schritt sinnvoll überlegt und umgesetzt werden. Es gibt momentan nicht in jedem Bereich eSportler:innen, die auf Profi-Level spielen. Aber wenn es Vorgaben gibt, die eine Nachwuchsarbeit auf allen Ebenen fördert oder als notwendige Maßnahme vorsieht, wäre das schon mal ein Anfang.
eSportsGear: eSport ist inzwischen lange im Mainstream angekommen und wird vielerorts als professionell akzeptiert. Siehst du trotz all dem weiterhin Ungleichheiten zwischen weiblichen und männlichen Teams bzw. Spielerinnen und Spielern gegeben?
Nicole Lange: Das lässt sich schwer verallgemeinern, aber es gibt immer noch eine beachtliche Anzahl an Spielerinnen, die es bemängeln, dass ihre Skills nicht so im Vordergrund sehen würden, wie im Männerbereich. Außerdem besteht immer noch vermehrt der Wunsch, stärker in den Auswahlprozess von Organisationen und Teams einbezogen zu werden.
eSportsGear: Werden non-binäre Personen und Transmenschen in der eSport-Szene integriert und wenn ja, wie? Wird dieses Thema adäquat gehandhabt oder gibt es hier Aufholbedarf?
Nicole Lange: Ich glaube, die Branche möchte gerne mehr tun, aber es fehlen noch die richtigen Ansätze, um das Thema im angemessenen Sinne aufzugreifen. In diesem Punkt können die Verbände und Teams noch deutlich stärker in die Kommunikation gehen.
Preisgeldentwicklung aka „Vom eSport als Beruf leben“
eSportsGear: In den letzten beiden Jahren gab es weniger Großevents und somit weniger Preisgelder. Besteht die Gefahr, dass diese auf niedrigem Niveau bleiben und man von eSport noch schwieriger leben kann?
Nicole Lange: In manchen Bereichen wird das bestimmt ein Problem sein. Allerdings war es nie besonders leicht, vom eSport zu leben. Das ist ein spitzes Feld und nur die Besten schaffen das. Hier verhält es sich wie in anderen Sportarten, nicht jede:r wird Profi. Ich glaube aber, dass sich die Branche weiterentwickeln wird und sich wieder neue Möglichkeiten ergeben. Allerdings gibt es vor allem die Big Player und dann die Kleineren drumherum. Es wird schwer sein, ein noch breiteres Feld auf hohem Preisgeldniveau zu schaffen. Dennoch sieht die Marktanalyse für die weltweite eSport-Entwicklung gut aus für die nächsten Jahre.
eSportsGear: Was können junge Talente tun, um sich Teams anzuschließen, um ihre Skills zu zeigen und um erste Einnahmen mit ihrer Passion zu generieren?
Nicole Lange: Man braucht vor allem Geduld. Außerdem kommt es darauf an, welches Spiel du spielst. Bei FIFA gibt es überall Turniere in unterschiedlichen Größen. Bei kicker eSport veranstalten wir auch immer in gewissen Abständen Wettbewerbe und wenn wir über die Sieger berichten, schafft das ebenfalls Aufmerksamkeit. Ansonsten viel trainieren und die Augen in der Szene offenhalten. Auf Scouting-Events gehen und mit Leistung auf sich aufmerksam machen. Da es in Deutschland leider noch an richtigen Strukturen für einen guten Nachwuchsaufbau mangelt, sind die Möglichkeiten begrenzt, aber vielleicht hat die Stadt, in der man lebt oder das Dorf einen eSport-Verband oder der Fußballverein eine eigene Abteilung. Im Breitensport lassen sich auch schon erste Schritte gehen, um in der Szene Fuß zu fassen.
eSportsGear: Vielen Dank, Nicole, für deine detaillierten Einschätzungen. Wir hoffen, dass wir dich auch in Zukunft wieder begrüßen dürfen.